Unser Fachreferent Michael Nattke übernimmt zum 01. September 2023 die Geschäftsführung des Kulturbüro Sachsen e.V.. Am 31. August 2023 hatte Vorstandsmitglied Matthias Klemm ihm den symbolischen Staffelstab der Geschäftsstelle feierlich übergeben und zu der neuen Aufgabe gratuliert.
14 Jahre lang hat Michael Nattke als Fachreferent die Entwicklung des Kulturbüros bereits mitgestaltet. Nun tritt er die Nachfolge von Grit Hanneforth an, die bis zum 31. August 2023 Geschäfts-führerin war. Dankbar schauen wir auf die letzten 22 Jahre zurück, in denen Grit Hanneforth die Leitung des Kulturbüros innehatte. Und genauso zuversichtlich blicken wir in die Zukunft, in der es auch unter der neuen Geschäftsführung unsere Aufgabe bleibt, eine demokratische Kultur im Land zu kultivieren und ein solidarisches Miteinander zu fördern.
Den Moment zwischen Kontinuität und Aufbruch hat der Journalist Hendrik Lasch in einem Interview festgehalten.
Michael Nattke und Grit Hanneforth im Interview zum Wechsel der Geschäftsführung
Grit, du verlässt nach gut 22 Jahren das Kulturbüro Sachsen. Warum gerade jetzt?
GH: Im Kulturbüro Sachsen lautete eine zentrale Devise stets: „Uns interessiert Veränderung“. Das gilt für unsere Arbeit, aber natürlich auch im Privaten. Ich habe die Geschäfte des Vereins seit 2001 geführt, aber mir immer mal wieder auch die Frage gestellt, wann ein guter Zeitpunkt wäre, noch einmal etwas Neues zu beginnen. 2022 haben wir die Feier zum 20-jähriges Jubiläum nachgeholt. Das Kulturbüro und seine Mitarbeiter*innen sind in Sachsen anerkannt. Die finanzielle Situation ist so stabil wie selten in unserer Geschichte. Ich kann daher das, was wir über Jahre aufgebaut haben, mit gutem Gewissen und Freude weitergeben.
Michael, du kennst die Frage nach dem persönlichen Neuanfang gut.
MN: Ich habe sie mir 2019 gestellt. Da war ich seit zehn Jahren beim Kulturbüro, hatte ein Projekt zu Gemeinwesenarbeit betreut, das Aussteigerprogramm in Sachsen in seinen Anfängen mit konzipiert, mich um Elternberatung gekümmert und war schließlich als Fachreferent quasi für den inhaltlichen Rahmen unserer Arbeit verantwortlich. Das persönliche „Jubiläum“ war für mich dann Anlass zu fragen, ob ich Veränderung möchte. Ich bin beim Kulturbüro geblieben – aus den gleichen Gründen, die mich am Anfang überzeugt haben: eine inhaltlich eminent wichtige Arbeit gemeinsam mit Menschen, die die Wertvorstellungen einer demokratischen Gesellschaft teilen, sich über den eigentlichen Job hinaus engagieren und solidarisch miteinander umgehen.
Jetzt bist du der Neue und übernimmst ab 1. September die Geschäftsführung.
MN: Das sind natürlich große Fußstapfen; Grit war eine hervorragende Geschäftsführerin. Ich bin aber sicher, dass wir an die bisherige Arbeit gut anknüpfen können.
Wie begann diese eigentlich? In welcher Situation wurde 2001 das Kulturbüro Sachsen gegründet?
GH: Damals war das politische Klima in Sachsen vielerorts durch die Dominanz von Neonazis wie den Skinheads Sächsische Schweiz geprägt. Es gab Übergriffe auf Linke und Migrant*innen. „National befreite Zonen“ war gerade Unwort des Jahres geworden, Gerhard Schröder hatte den „Aufstand der Anständigen“ ausgerufen. Im Freistaat allerdings erachtete der damalige CDU-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf die Sachsen als „völlig immun gegenüber rechtsradikalen Versuchungen“, und entsprechend agierte man vielerorts auch in der kommunalen Politik und Verwaltung. Unser Ziel war es, Menschen und Initiativen, Bürgermeister, Pfarrer oder Vereinsvorstände, die sich rechtsradikalem Denken entgegen stellten, zu stärken und zu beraten.
Der Begriff „Kulturbüro“ lässt freilich eher an Konzerte oder Lesungen denken …
GH: Das Konzept der Mobilen Beratungsteams (MBT), die anfangs der Kern unserer Arbeit waren, entstand in einem Dresdner Hinterhaus noch unter dem Dach des Vereins „Büro für Freie Kultur- und Jugendarbeit“, kurz Kulturbüro Dresden. Ab Anfang 2004 arbeiteten die MBTs dann unter dem Dach eines neu gegründeten Vereins, der kurzerhand Kulturbüro Sachsen genannt wurde.
MN: Das war sicher auch ein taktisch geschickter Schachzug. Mit einem Vereinsnamen, in dem der Begriff „Rechtsextremismus“ vorkommt, wäre einem damals in vielen Rathäusern die Tür gewiesen worden. Das hat sich erst geändert, nachdem der damalige Ministerpräsident Stanislaw Tillich 2016 nach Übergriffen in Clausnitz als erster CDU-Politiker im Land von „Rassismus“ sprach und einräumte, Fehler gemacht zu haben. Seither gab es ein Umdenken, die Kommunikation hat sich geändert, zivilgesellschaftliche Initiativen wie unsere werden ernster genommen. Der Name bleibt trotzdem und passt. Uns geht es schließlich um die politische Kultur im Land.
Wie reagieren Kommunalpolitiker heute auf das Kulturbüro und seine Angebote?
MN: Das ist sicherlich nach wie vor sehr unterschiedlich. Es gibt Landräte, die unsere Beratung nicht benötigen, weil sie selbst fit sind, und andere, die unser Wertefundament vermutlich nicht teilen. Die Zahl der Beratungen nimmt aber stetig zu. Die Themen ändern sich. Beratungsanfragen zu rechten Jugendclubs gibt es heute, anders als früher, kaum noch. Vor Anfragen kaum retten können wir uns aber, wenn es um das Thema rechte Immobilien geht. Dem hatten wir 2021 unsere alljährliche Publikation „Sachsen rechts unten“ gewidmet, und das scheint dafür zu sorgen, dass wir innerhalb der Kommunen weiterempfohlen werden.
Das Kulturbüro, hieß es, steht heute stabil da. Das war nicht immer so, oder?
GH: Leider ja. Wir haben immer wieder mit finanzieller Unsicherheit und fehlender Aussicht auf Förderung gelebt, und unsere qualifizierten Mitarbeiter*innen wussten manchmal vor Weihnachten nicht, wie es im Januar weitergeht; sie mussten Kürzungen bei Lohn und Arbeitszeit verkraften. Am Anfang haben uns Fördergelder von Bundesprogrammen wie Civitas geholfen, aber dass sie Jahr für Jahr neu beantragt und abgerechnet werden mussten, hat viel Kreativität und organisatorische Vorausschau erfordert und dennoch dafür gesorgt, dass wir mehr als einmal auf der Kippe standen.
MN: Ab 2004 wurde dann in Sachsen das Förderprogramm „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“ (WOS) entwickelt. Das war eine wichtige Zäsur. Inzwischen wird unsere Arbeit zu großen Teilen aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben !“ und aus Landesmitteln finanziert, wodurch wir uns in ruhigem Fahrwasser befinden. Allerdings wird 2024 ein neuer Landtag gewählt. Dann wird auch über die Förderung von Demokratieprojekten neu verhandelt. Außerdem droht die Schuldenbremse, deren Aufhebung bisher im Landtag nicht gelungen ist, die Spielräume des Landes im so genannten „freiwilligen“ Bereich extrem zu beschränken. Das träfe auch uns.
Der Bund verspricht, mit einem neuen „Demokratiefördergesetz“ für verlässlichere Förderung zu sorgen. Im Zusammenhang damit gibt es aber Forderungen, die Empfänger der Gelder wieder ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung abgeben zu lassen. Lebt damit die „Extremismusklausel“ wieder auf, und was haltet ihr davon?
MN: Der Begriff „Extremismus“ ist für uns keine brauchbare Kategorie und keine fachliche Beschreibung unseres Arbeitsgegenstandes. Der Kernbegriff, an dem wir uns orientieren, lautet „Gleichwertigkeit“; Ideologien, die das ablehnen, wollen wir zurückdrängen. Wir bekennen uns natürlich zur Demokratie. Unser Vorstand Matthias Klemm hat von uns einmal als den „wahren Verfassungsschützer*innen im besten Wortsinne“ gesprochen, was uns ehrt und freut. Per Unterschrift dazu bekennen müssen wir uns nicht.
GH: Allerdings sind wir, anders als manch staatliche Stellen oder Parteien sich das wünschen, nicht neutral. Gegenüber Ideologien der Ungleichwertigkeit können wir nicht politisch indifferent sein. Wir können und wollen entsprechende Gebote nicht befolgen.
Eine Partei, die dieses vermeintliche „Neutralitätsgebot“ instrumentalisiert, um für Demokratie und Vielfalt engagierte Vereine und Initiativen zu behindern, ist die AfD. Was bedeutet deren Erstarken für das Kulturbüro?
MN: Das ist eine enorme Herausforderung, aber auch eine Gratwanderung. So lange die AfD vom Verfassungsschutz nicht als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, dürfen wir sie im Rahmen von Projekten aus öffentlichen Fördermitteln formell gar nicht in Gänze thematisieren. Gemessen an sozialwissenschaftlichen Kategorien, ist es für mich keine Frage, dass es eine rechtsextreme Partei ist. Sie wird noch viel Unfrieden in der Gesellschaft stiften, zumal wenn sie neben Abgeordnetenbüros auch über eine eigene Stiftung verfügen sollte. Viel schwieriger als für uns wird es bei einem weiteren Kräftezuwachs der AfD aber für engagierte Menschen, Vereine und Initiativen vor Ort, vor allem in Dörfern und Kleinstädten in Sachsen. Unsere Arbeit funktioniert jedoch nur, wenn es diese gibt. Wenn sie zurückgedrängt und eingeschüchtert werden und ihr Engagement einstellen, entfällt für uns die Arbeitsgrundlage.
Welche Eigenschaften des Kulturbüros und seiner Mitarbeiter*innen bestärken die scheidende Chefin in der Zuversicht, dass es noch lange weitergeht?
GH: Die Wandlungsfähigkeit und Fehlerfreundlichkeit, die seit Jahren zu unseren Grundprinzipien gehören. Das Kulturbüro hat sich stets an neue gesellschaftliche Problemlagen anpassen können, die Mitarbeiter*innen haben fortlaufend neue Angebote und Antworten entwickelt. Wir bieten nicht nur gute Beratung an, sondern sind durch die intensive Arbeit vor Ort auch eine Art Seismograph für gesellschaftliche Entwicklungen.
Nun gibt es einen neuen Chef. Wird jetzt beim Kulturbüro alles anders?
MN: Ich werde manche Dinge womöglich anders machen; Menschen sind unterschiedlich. Im Kern wird es aber unabhängig von dem oder der jeweiligen Geschäftsführer*in um eine kontinuierliche Entwicklung gehen – und darum, das Profil des Kulturbüro Sachsen gleichzeitig zu schärfen. Und es gibt auch Themen, denen wir uns stärker widmen müssen. Stichwort Migrationsgesellschaft: Wir sollten versuchen, migrantisierten Stimmen mehr Gehör zu verschaffen. Wir sollten uns fragen: Wie müssen wir uns verändern, damit wir attraktiv auch für Menschen sind, die keine weiße Hautfarbe haben und deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Da gibt es also viel zu tun.
Das Interview führte der Journalist Hendrik Lasch.